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Risiken und Nebenwirkungen: Die Wahrscheinlichkeitsdefinition von OP-Risiken richtet sich nicht nach der von Beipackzetteln

Risiken und Nebenwirkungen: Die Wahrscheinlichkeitsdefinition von OP-Risiken richtet sich nicht nach der von Beipackzetteln

Ein Aufklärungsgespräch soll Patienten im Vorfeld über Verfahrensweise und Risiken operativer Eingriffe informieren. Ob ein in diesem Zuge überreichter Aufklärungsbogen wie ein Beipackzettel in Medikamentenpackungen zu betrachten ist, musste seinerseits kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) aufklären.

Vor einer anstehenden Knieoperation wurde ein Patient von seinem Arzt über die Risiken der Operation aufgeklärt. Auf dem betreffenden Aufklärungsbogen stand bei den Risiken: "Im Laufe der Zeit gelegentlich Lockerung oder extrem selten Bruch der Prothese; ein Austausch der Prothese ist dann erforderlich." Es kam, wie es kommen musste; der Mann erhielt sein neues Kniegelenk, die Prothese lockerte sich und musste ersetzt werden. Nun meinte der Patient, von seinem Arzt nicht ausreichend aufgeklärt worden zu sein. Dabei berief er sich auf das Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) für Medikamente und dessen Häufigkeitsdefinition des Wortes "gelegentlich". Denn während diese MedDRA-Wortwahl bei Medikamenten eine Wahrscheinlichkeit von unter 1 % suggeriert, betrug die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer Knieprothesenlockerung ganze 8,41 %. Das war zugegebenermaßen zwar nicht dumm, jedoch vergeblich argumentiert.

Denn laut BGH haben sich die Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der Aufklärung vor einer ärztlichen Behandlung grundsätzlich nicht an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des MedDRA zu orientieren. Auch eine Wahrscheinlichkeitsquote von 8,41 % darf in den Augen der Richter durchaus als gelegentlich bezeichnet werden.

Hinweis: Bei einem Aufklärungsgespräch im Vorfeld einer Operation sollten sich die Patienten frei fühlen, alles zu erfragen, was ihnen wichtig erscheint. Sich im Nachhinein an den Regeln für Beipackzettel festzuhalten, um auf deren Basis Schmerzensgeld und Schadensersatz fordern zu können, ist nun höchstrichterlich verneint worden.

Quelle: BGH, Urt. v. 29.01.2019 - VI ZR 117/18
Fundstelle: www.bundesgerichtshof.de

Brustimplantate Skandal

Ein französisches Berufungsgericht hob am 02.07.2015 ein Schadensersatz-Urteil gegen das Prüfunternehmen TÜV Rheinland auf. Somit muss der TÜV Rheinland im Skandal um minderwertige Brustimplantate in Frankreich doch nicht haften. Hierzu führt das Gericht aus, der TÜV habe seine Verpflichtungen bei der Zertifizierung der Produkte des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) erfüllt. Zuvor war der TÜV Ende 2013 verurteilt worden, an mehr als 1.600 Frauen zunächst jeweils 3.000,00 € Schadensersatz plus Anwaltskosten zu zahlen.

Der Hersteller PIP, der inzwischen Insolvenz angemeldet hat, hatte 10 Jahre lang billiges Industriesilikon für seine Implantate verwendet. Diese reißanfälligen Silikonkissen wurden Schätzungen zufolge weltweit bei hunderttausenden Frauen eingesetzt. Der TÜV hatte nur die Unterlagen und die Qualitätssicherung von PIP überprüft, nicht die Kissen selbst. Auf dieser Grundlage erhielt die Firma das europäische CE-Siegel. Der Gründer der Skandalfirma wurde im Dezember 2013 zu 4 Jahren Haft verurteilt, hat gegen sein Urteil Berufung eingelegt.

Aufklärung des Arztes bei Schnittentbindung

1. Bestehen deutliche Anzeichen dafür, dass sich der Zustand der Schwangeren bzw. der Geburtsvorgang so entwickeln können, dass die Schnittentbindung zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird, muss der Arzt die Schwangere über die unterschiedlichen Risiken und Vorteile der verschiedenen Entbindungsmethoden aufklären.
2. Stehen für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten würden. ist eine Aufklärung über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten erforderlich.

Nach diesem allgemeinen Grundsatz brauche der geburtsleitende Arzt in einer normalen Entbindungssituation, in der die Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt sei, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen. Anders sei die Situation, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgen würde, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen , daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen würden und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellen würden. Ist die Schwangere im Hinblick darauf über die verschiedenen Entbindung smethoden und die mit ihnen verbundenen Risiken aufgeklärt, so muss der Arzt die Schwangere grundsätzlich nicht noch mals über die Möglichkeit der Schnittentbindung unterrichten, wenn die ernsthaft für möglich gehaltene Entwicklung e ingetreten und die Sectio zur gleichwertigen Behandlungsalternative geworden ist.
Dies entschied der BGH durch Versäumnisurteil vom 28.10.2014, VI ZR 125/13.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sei ein e Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich. In einer solchen Lage dürfe sich der Arzt nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden. Vielmehr müsse er die Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risiken sowie über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden aufklären und sich ihrer Einwilligung für die Art der Entbindung versichern. Dieses gelte auch, wenn auf Grund konkreter Umstände die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass im weiteren Verlauf eine Konstellation einträte, die als relative Indikation für eine Schnittentbindung zu werten sei. Eine – vorgezogene – Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken und Vorteile der verschiedenen Entbindungsmethoden sei d eshalb bereits dann erforderlich, wenn deutliche Anzeichen dafür beständen, dass sich der Zustand der Schwangeren bzw . der Geburtsvorgang so entwickeln könne, dass die Schnittentbindung zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung werde.

Fehlbehandlung bei der Geburt: 300.000 € Schmerzensgeld

Mit amtlichem Leitsatz entschied das OLG Hamm am 17.03.2015, 26 U 108/13: „Tritt in Folge einer Fehlbehandlung bei der Geburt eine spastische Tetraplegie mit gravierenden Beeinträchtigungen ein, so kann ein Schmerzensgeld von 300.000,- € angemessen sein. Als gravierende Beeinträchtigung kommen Störungen der Motorik, der Bewegung, der Sprache und der Umstand in Betracht, dass sich das Kind seiner mangelnden Kompetenzen bewusst wird und darunter leidet.“

Werde bei einer Geburt eine Notsectio verspätet durchgeführt, könne dies einen groben Behandlungsfehlers begründen, so dass sich die Haftung auf den Primärschaden einschließlich der durch den Behandlungsfehl er herbeigeführten gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung erstreckt.

Das OLG stellte fest, dass die Klägerin danach dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld für alle Beeinträchtigungen habe, die sich als Ausprägung der innergeburtlichen Sauerstoffunterversorgung darstellen würden.

Vorgezogene Aufklärung zur Sectio (Kaiserschnitt)

Der BGH hat am 28.08.2018, VI ZR 509/17, entschieden:


„a)  Eine Haftung wegen Unterlassens der (vorgezogenen) Aufklärung über die Behandlungsalternative der Sectio kommt auch dann in Betracht, wenn die Sectio später durchgeführt wird als sie bei rechtzeitiger Aufklärung durchgeführt worden wäre und diese Verzögerung zu einem Geburtsschaden geführt hat.

b)  Dafür, dass und in welchem Umfang in einer Überschreitung der empfohlenen EE-Zeit (Zeit von der Entscheidung zur Sectio bis zur Entwicklung des Kindes) ein Behandlungsfehler liegt, trägt der Geschädigte die Beweislast. Die Gefahren einer solchen Zeitüberschreitung sind für die Behandlungsseite nicht voll beherrschbar.“

Sachverhalt:
Die Mutter stellte sich am Tage der Geburt um 4:35 Uhr mit regelmäßiger Wehentätigkeit vor. Das CTG wies eine eingeengte Oszillation (Wehen unabhängige, kurzfristige Schwankungen der fetalen Herzschlagfrequenz) auf, weshalb Sterofundin verabreicht wurde. Nach einem unauffälligen CTG zwischen 7:03 Uhr und 7:20 Uhr erfolgte eine CTG-Pause bis 10:30 Uhr, da die Mutter der Klägerin ruhen wollte. Um 10:10 Uhr untersuchte die Beklagte die Mutter der Klägerin und empfahl die Geburtseinleitung mit einem wehenfördernden Mittel. Die ab 10:30 Uhr veranlassten CTGs wiesen erneut eine eingeengte Oszillation auf, woraufhin wiederholt Sterofundin verabreicht wurde. Um 11:35 Uhr wurde eine Testdosis eines wehenfördernden Mittels verabreicht. Um 12:05 Uhr trat eine erste, um 12:35 Uhr eine zweite (späte) und um 12:48 Uhr eine dritte (späte) Dezeleration (Absinken der fetalen Herzsequenz) auf. Daraufhin führte der Beklagte zu 2. eine vaginale Untersuchung durch, die ergab, dass der Muttermund noch nicht geöffnet war. Sie ordnete daraufhin eine eilige Sectio an, über deren Notwendigkeit sie die Mutter der Klägerin aufklärte.
Auf die Mitteilung durch die Beklagte zu 2. reagierte die Mutter der Klägerin mit einem Zustand, den sie selbst als Panik beschrieb. Sie verweigerte den Versuch, sich im Vorbereitungszimmer einen Blasenkatheter anlegen zu lassen. Um 16:03 Uhr kam es zu einer weiteren (späten) Dezeleration im CTG. Um 13:10 Uhr wurde die Mutter der Klägerin im OP nach vorheriger Spinalanästhesie gelagert. Um 13:00 Uhr erfolgte die Information der Anästhesie, OP-Schwester und Pädiater zur eiligen Sectio. Ein Medikament zur Wehen - Unterdrückung wurde gegeben. Die Mutter lehnte die Sauerstoffzufuhr über die Nasensonde und eine Sedierung zur Verbesserung der Kooperation ab. Um 13:34 Uhr wurde die Klägerin mit einer Hirnschädigung geboren und ist in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung schwer retardiert und praktisch rund um die Uhr betreuungs- und pflegebedürftig.

Aus den Gründen:
1.    Der BGH weist unter Nr. 23 darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung eine Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich ist, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz brauche der geburtsleitende Arzt in einer normalen Entbindungssituation, in der die Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb auch keine Alternative zur vaginalen Geburt darstelle, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen.
Anders sei dies jedoch für den Fall, dass bei einer vaginal geplanten Geburt für das Kind ernst zu nehmende Gefahren drohen würden und im Interesse des Kindes für eine Schnittentbindung gewichtige Gründe sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstelle. In einem solchen Falle müsse der Arzt die Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risiken sowie über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden aufklären und sich ihrer Einwilligung für die Art der Entbindung versichern.
Gleiches gelte, wenn aufgrund konkreter Umstände die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass im weiteren Verlauf eine Konstellation eintreten werden, die als relative Indikation für eine Schnittentbindung zu werten sei. Eine – vorgezogene – Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken und Vorteile der verschiedenen Entbindungsmethoden sei deshalb bereits dann erforderlich und müsse bereits zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden, zu dem sich die Schwangere noch in einem Zustand befinde, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden könne, wenn deutliche Anzeichen dafür bestehen würden, dass sich die Geburt so entwickeln könne, dass die Schnittentbindung zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung werde. Denn nur dann werde das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren, die die natürliche Sachverwalterin der Belange auch des Kindes sei, gewahrt. Dieses Recht müsse möglichst umfassend gewährleistet werden.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sei die Mutter der Klägerin nicht über die Behandlungsalternative einer Sectio aufgeklärt worden, sondern allein über die Notwendigkeit der Durchführung einer eiligen Sectio, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Behandlungsalternative schon nicht mehr bestanden habe.

2.    Auch wenn die Unterlassung der Aufklärung über die Behandlungsalternative der Sectio vorliegend nicht dazu geführt habe, dass diese unterblieben sei, könne sie sich aber dahingehend ausgewirkt haben, dass die Sectio später durchgeführt wurde, als sie bei rechtzeitiger Aufklärung durchgeführt worden wäre.
Mit der Erwägung, dass die Sectio auch nach vorgezogener Aufklärung erst mit der medizinischen Indikation vorzunehmen gewesen sei, habe das Berufungsgericht die zeitliche Komponente der vorgezogenen Aufklärung rechtsfehlerhaft verkannt und die diesbezüglich gebotenen Feststellungen unterlassen.
Die vorgezogene Aufklärung habe zur Folge, dass bereits mit Eintritt der relativen Indikation dem Wunsch der Schwangeren entsprechend die Entscheidung für die Sectio feststehe und bei unveränderten Umständen ausschließlich dieser Weg zu verfolgen sei.
Sollte schon vor 12:35 Uhr eine – vorgezogene – Aufklärung geboten gewesen sein und hätte sich die Mutter der Klägerin, wie von der Klägerin geltend gemacht, dabei für eine Sectio entschieden, so hätte auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens um 12:35 Uhr festgestanden, dass eine Sectio zu erfolgen hat. Zudem hätte es dann der Aufklärung über die Notwendigkeit einer Sectio, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwischen 12:52 Uhr (also nach der Untersuchung in Folge der dritten Dezeleration und der Ingangsetzung der Informationskette um 13:00 Uhr und damit bereits innerhalb der EE-Zeit erfolgt ist, nicht mehr bedurft. Wäre – wozu Feststellungen fehlen – die Sectio nach alledem früher durchgeführt und die Klägerin ohne oder mit weniger schweren Geburtsschäden geboren worden, wäre der kausale Zusammenhang zwischen der Verletzung der Aufklärungspflicht und dem Gesundheitsschaden gegeben.
Das Unterlassen der Aufklärung und die Möglichkeit der Sectio vor Beginn der EE-Zeit wirkte sich auch auf die rechtliche Beurteilung aus, ob die vom Berufungsgericht festgestellte Überschreitung der für eine eilige Sectio empfohlenen EE-Zeit einen Behandlungsfehler darstellt. Insoweit sei vielmehr in den Blick zu nehmen, dass mit der erst in der EE-Zeit und noch vor der Ingangsetzung der Informationskette vorgenommenen Aufklärung eine der Sphäre der Beklagten zuzurechnende – möglicherweise schadensursächliche – Verzögerung eingetreten sein könne, die bei der gebotenen früheren Aufklärung hätte vermieden werden können.

Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der Überschreitung der empfohlenen EE-Zeit ein Behandlungsfehler der Beklagten läge, trage allerdings die Klägerin die Beweislast. Eine Vermutung eines Organisationsfehlers komme ihr entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts insoweit von vorneherein nicht zu gute. Das Risiko einer Überschreitung der EE-Zeit sei von der Behandlungsseite nicht voll beherrschbar. Diese könne eine Zeitüberschreitung und die damit verbundenen Risiken für die Gesundheit des Kindes durch ordnungsgemäße Gestaltung ihres Betriebs – namentlich eine sachgerechte Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens – nicht objektiv voll ausschließen.

Das Berufungsurteil wurde im Hinblick auf die unterlassene Aufklärung über Behandlungsalternativen und deren Folgen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Kommunikationsverschulden; grober Behandlungsfehler

Der BGH entschied im Urteil vom 26.06.2018, VI ZR 285/17:


„1. Der Arzt hat sicher zu stellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und ggf. von der angeratenen Behandlung – Kenntnis erhält, auch wenn diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrages bei ihm eingehen. Der Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, muss den Informationsfluss aufrechterhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergibt, dass der Patient oder der diesen weiter behandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten hat.

2. Zur Bewertung eines Behandlungsfehlers als grob.“

Sachverhalt:
Der Kläger nahm seine langjährige Hausärztin wegen eines Behandlungsfehlers in Anspruch. Bei dieser hatte er sich mit Schmerzen im linken Bein und Fuß vorgestellt und wurde von ihr zu einer fachärztlichen Behandlung überwiesen, die auch durchgeführt und fortgesetzt wurde. Eine Magnetresonanztomographie (MRT), zu deren Durchführung der Patient notfallmäßig in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, zeigte eine etwa 1 cm große Geschwulst in der linken Kniekehle. Der radiologische Befund wurde an die Fachärztin übersandt. Die Hausärztin erhielt ihn nicht. Nach einer Untersuchung in einer neurochirurgischen Ambulanz eines Krankenhauses wurde der Arztbrief über diese Vorstellung an das vorbehandelnde Krankenhaus und nachrichtlich an die Fachärztin übersandt. Die Fachärztin überwies den Kläger zu einer stationären Krankenhausbehandlung, wo die Geschwulst mikrochirurgisch resektiert wurde. Von diesem Klinikum erhielt die Hausärztin erstmals einen Arztbrief, der nach dem auf ihn enthaltenen Vermerk nachrichtlich auch an die Fachärztin und das zunächst behandelnde Krankenhaus gesandt wurde. Darin wurde unter anderem berichtet, dass das Ergebnis der histologischen Untersuchung noch nicht vorliege. Der zweite Arztbrief des Krankenhauses, in dem die Geschwulst mikrochirurgisch resektiert worden war, erging alleine an die Hausärztin. Darin wurde sie darüber informiert, dass sich entgegen der vermuteten Diagnose eines Neurinoms bei der Durchsicht der Präparate im Referenzzentrum ein maligner Nervenscheidentumor dargestellt habe. Die Hausärztin wurde gebeten, den Patienten in einem onkologischen Spezialzentrum vorzustellen. Einer Weiterleitung dieses Schreibens oder eine Information des Klägers durch seine Hausärztin erfolgte nicht.

Der in zweiter Instanz angehörte gerichtliche Sachverständige hatte erklärt, dass es zwar dem behandelnden Arzt obläge, dem Patienten sowie dem Behandlungsteam relevante Befunde oder Therapieempfehlungen mitzuteilen. Das Unterlassen einer solchen Maßnahme stelle aber keinen groben Behandlungsfehler dar. Es sei nachvollziehbar, dass die Hausärztin in der gegebenen Situation untätig geblieben sei. So etwas könne unter den gegebenen Umständen im alltäglichen Ablauf geschehen. Dem üblichen Prozedere hätte es entsprochen, den Arztbrief primär an die Fachärztin, gegebenenfalls auch an das nachbehandelnde Krankenhaus zu senden, nicht aber an die Hausärztin, die zu diesem Zeitpunkt nicht in die Behandlung eingebunden gewesen sei.

Aus den Gründen:
1.    Der BGH gelangte zu einer anderen Wertung. Nach seiner Auffassung hat die Hausärztin ihre ärztliche Pflicht dem Kläger gegenüber verletzt, weil sie ihn über die Diagnose eines malignen Nervenscheidentumors und die Behandlungsempfehlung des Klinikums nicht informiert habe. Spätestens nachdem allein an sie gerichteten zweiten Arztbrief und der darin enthaltenen bedrohlichen Diagnose und der vom Klinikum angeratenen ärztlichen Maßnahmen hätte die Hausärztin den Kläger unverzüglich in Kenntnis setzen müssen.
Ein Patient habe einen Anspruch auf Unterrichtung über die um Rahmen einer ärztlichen Behandlung erhobenen Befunde und Prognosen. Das gelte in besonderem Maße, wenn ihn erst die zutreffende Information in die Lage versetze, eine medizinisch gebotene Behandlung durchführen zu lassen (therapeutische Aufklärung/Sicherungsaufklärung). Es stelle einen schweren ärztlichen Behandlungsfehler dar, wenn ein Patient über einen bedrohlichen Befund, der Anlass zur umgehenden und umfassenden ärztlichen Maßnahmen gebe, nicht informiert und ihm die erforderliche ärztliche Beratung versagt werde.
Dabei komme es nicht darauf an, ob außer dem behandelnden Arzt vielleicht auch andere Ärzte etwas versäumt haben könnten. Durch die Überweisung an ein Krankenhaus gehe zwar grundsätzlich die Verantwortung für die Behandlung auf die Ärzte des Krankenhauses über. Das gelte aber nicht uneingeschränkt. So habe etwa der weiter behandelnde Hausarzt von ihm erkannte oder ihm ohne weiteres erkennbare gewichtige Bedenken gegen Diagnose und Therapie andere Ärzte mit seinem Patienten zu erörtern. Kein Arzt dürfe, der es besser wisse, sehenden Auges eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn ein anderer Arzt seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht hat oder er jedenfalls den dringenden Verdacht haben muss, es könne ein Fehler vorgekommen sein. Das gebiete der Schutz des dem Arzt anvertrauten Patienten (BGH NJW 2002, 2944). Deshalb sei die Hausärztin aus dem Behandlungsvertrag mit dem Kläger weiterhin verpflichtet, diesem die zu ihrer Kenntnis gelangte Diagnose mitzuteilen. Das ergebe sich schon daraus, dass der zweite Arztbrief allein an sie gerichtet gewesen wäre und eine unmittelbar an sie gerichtete Handlungsaufforderung enthielt. Dem hätte die Hausärztin unschwer entnehmen können, dass die behandelnden Ärzte des Klinikums sie als weiterbehandelnde Ärztin angesehen hätten.
Auch wenn dies aus ihrer Sicht irrtümlich und fehlerhaft gewesen sei, hätte sie das Schreiben nach den genannten Grundsätzen nicht unbeachtet lassen und damit sehenden Auges eine Gefährdung ihres Patienten hinnehmen dürfen. Das gelte umso mehr, als es sich bei der Beklagten um eine langjährige Hausärztin des Klägers gehandelt habe.

2.   Die Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob sei eine Frage der juristischen Bewertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliege. Diese wertende Entscheidung des Tatrichters müsse jedoch im vollen Umfange durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können. Die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob zu werten sei, unterliege der tatrichterlichen Würdigung und sei revisionsrechtlich nur insoweit nachprüfbar, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt oder ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Acht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt habe.
Ein solcher Fehler sei dem Berufungsgericht vorliegend unterlaufen. Darauf, ob ein solcher Fehler unter den gegebenen Umständen im alltäglichen Ablauf passieren könne, komme es nicht an. Denn dies sage nichts darüber aus, ob sie objektiv nicht mehr verständlich seien.
Auch der Umstand, dass die Hausärztin außerhalb des Behandlungsgeschehens gestanden habe, schließe die Annahme eines groben Behandlungsfehlers nicht aus. Der zweite Arztbrief sei allein an die Hausärztin gerichtet worden. Dass es daneben weitere Arztbriefe oder Informationen in mündlicher Form an die (eigentlich) weiterbehandelnde Ärzte, wie der Fachärztin, geben könne, habe der Sachverständige vielmehr als „völlig untypisch“ erachtet. Hinzu komme, dass die Hausärztin bereits in dem im Original an sie – und nicht an die Fachärztin – gerichteten ersten Arztbrief mitgeteilt worden sei, dass das Klinikum sie als einweisende Ärztin angesehen habe. Darauf, ob die Hausärztin bei Erhalt des zweiten Arztbriefes die Verteilerliste des Ersten noch vor Augen gehabt habe, komme es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht an. Schließlich habe das Berufungsgericht bei seiner Bewertung völlig außer Acht gelassen, dass es sich bei der Beklagten um eine Hausärztin gehandelt habe, bei der der Kläger langjährig in Behandlung gewesen war. Allein der Umstand, dass der erste Arztbrief den Hinweis enthalten habe, der Patient werde über das Ergebnis der histologischen Untersuchung gesondert informiert, schließe einen groben Fehler nicht aus.

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